
Das Leben wird entspannter, wenn du realisierst, dass du nicht alles unter Kontrolle haben kannst, musst, brauchst…
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, das ist auch so eine Aussage für die Rubrik „Sätze, die die Welt nicht braucht“. Wer alles kontrollieren möchte, hat oft viele Ängste und versucht sich dadurch ein Gefühl von Sicherheit zu verschaffen. Letztlich ist es aber ein Trugschluss. Wenn du alles krampfhaft kontrollieren möchtest, sperrst du dich selber in ein Gefängnis ein und kontrollierst in diesem vor allem dich selbst. Auf Dauer ist das zermürbend und anstrengend und führt am Ende zu nichts, außer Frust. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe seit meiner frühesten Kindheit massive Ängste. Kontrolle war immer mein Sicherheitsnetz, sie gab mir das Gefühl wenigstens irgendwas beeinflussen zu können, wenn ich schon nicht meine Panikattacken im Griff hatte. Kontrolle war quasi mein Freund, sie beschützte mich dort, wo ich mich schutzlos fühlte.
Ich glaube, dass man irgendwann in seinem Leben einen Kontrollverlust erlebt - wie auch immer der aussehen mag - und das dient einem, auch wenn es in dem Moment nicht danach aussehen mag. Ein Mensch (und wenn du auch ein kleiner Kontrollfreak bist, wirst du mich verstehen können), der Kontrolle braucht, hat die größte Angst davor, diese zu verlieren. Ein absolutes Horrorszenario. Wenn also der Kontrollverlust kommt, gibt es zwei Möglichkeiten diesem zu begegnen: Entweder man dreht komplett durch und kontrolliert noch mehr oder man lässt nach und nach die Kontrolle los und geht Schritte in Richtung Freiheit.
Mein absoluter Kontrollverlust kam, als mein Vater im Sterben lag. Davor, dass Papa stirbt, hatte ich immer extreme Angst. Irgendwie hat mich dieser Gedanke mein halbes Leben begleitet „was mache ich, wenn Papa stirbt?“.
Meine Schwester und ich saßen an seinem Bett, er hatte bereits aufgehört Flüssigkeit zu sich zu nehmen, fieberte hoch und war nicht mehr ansprechbar - und ich wollte weg, raus aus dieser Situation, ich wollte es nicht sehen, nicht hören, nicht dabei sein. Das Kind in mir, wollte weglaufen aber ich blieb sitzen. Als ich abends zu Hause war, kam die Panik. Auf einmal war mir klar, dass nun meine größte Angst wahr werden würde und ich nichts dagegen unternehmen konnte. Ich überlegte zu ihm zurück zu fahren und ihm Wasser in den Mund zu kippen, er sollte gefälligst wieder trinken, ich war noch nicht soweit, was fiel ihm eigentlich ein, jetzt den Schlappen zu werfen??
Das war der Moment - völliger Kontrollverlust! Wenn ein Mensch, den du liebst, stirbt, weißt du: Ich kann überhaupt nichts kontrollieren, jede vermeintliche Kontrolle ist an sich nur Selbstverarsche.
Als ich also so panisch durch die Wohnung tigerte, wurde mir auf einmal etwas klar: Es ging hierbei nur um mich. Ich wollte nicht loslassen, ich war nicht bereit, ich klammerte mich an jeden seiner Atemzüge. Er war aber bereit, er wollte loslassen, er wollte gehen und brauchte es, dass ich ihn gehen ließ.
Am nächsten Tag fuhren wir wieder zu ihm. Sein Zustand war unverändert. Da wusste ich, dass es Zeit ist, ihn gehen zu lassen. Als ich allein mit ihm war, sprach ich noch einmal mit ihm, über all die Dinge, die wir uns nie sagen konnten - über all das, was die Liebe fühlt, aber die Angst verschweigt.
Zum Schluss sagte ich ihm: „Es tut mir leid, dass ich nicht soweit war. Danke, dass du auf mich gewartet hast - Du kannst gehen, wir schaffen das hier auch ohne dich“ - ich weiß nicht was davon noch bei ihm ankam, aber er sah mich bei diesen Worten an. Danach machte er die Augen zu und nie mehr auf.
Kontrolliere ich noch? JA! Auf jeden Fall! Aber es wird weniger, ich kann mehr und mehr loslassen. Ich habe gelernt, dass wir uns und anderen mit unserer Kontrolle eine Bürde auferlegen, die zu schwer zu tragen ist. Ich habe auch gelernt, dass mein Leben weitergeht. Dass die Angst vor Papas Tod mich nur so lange im Griff hatte, wie ich es zugelassen habe. Ich habe gelernt, dass der Tod nicht das Ende ist, dass wir uns nur nicht mehr hier auf der Erde sehen können, aber dass es etwas viel wichtigeres gibt - und das ist die Liebe, die Liebe bleibt ewig und überwindet selbst den Tod. Wenn ein Mensch geht, bleibt er in deinem Herzen. Das kann dir niemand nehmen, dort darfst du ihn bei dir tragen, so lange du möchtest.
Wenn wir Liebe, statt Angst wählen, brauchen wir keine Kontrolle mehr, denn Liebe bleibt für immer bei uns.
Das hast du WUNDERSCHÖN auf den Punkt gebracht 😘❤️