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Die Sache mit der Angst 1.0

Autorenbild: koselimkekoselimke

Disclaimer: Ich hatte zuerst überlegt für diesen Text ein Bild zu wählen, welches düster ist, traurig, deprimierend… quasi Angst = tiefe Depression. Dann habe ich mich umentschieden. Ich möchte das zeigen, was ich heute weiß und lebe. Daher ist es dieses Bild geworden. Das habe ich im Urlaub gemacht. Nach einer Autofahrt, die ich erst nicht auf mich nehmen wollte, weil ich Angst hatte, während der längeren Fahrt eine Panikattacke zu bekommen. Ich saß neben meiner Schwester im Auto, verfluchte die Welt, heulte und sagte ihr, dass sie an allem Schuld sei, weil ich überhaupt nicht in den beschissenen Urlaub fahren wollte und sie mich zwingen würde! An dieser Stelle nochmal: Sorry Wiebke und Danke für deine Geduld und Nerven aus Stahl. Und was zeigt das Foto: Ich bin glücklich. Der Urlaub war jeden Schweißausbruch wert. Angst ist das was man daraus macht und daher ist es dieses Foto geworden.

Warum habe ich hinter meine Überschrift eine „1.0“ geschrieben? Weil ich aktuell davon ausgehe, dass dies nicht mein letzter Text zum Thema „Angst“ sein wird.


Angst begleitet mich schon sehr lange, wirklich seeehr lange. Meine erste Panikattacke bekam ich mit 7 Jahren, meine letzte hatte ich vor knapp 4 Wochen. Wobei ich sagen muss, dass die "Attacken" heute kaum noch der Rede wert sind. Dazu irgendwann mehr.

Warum, weshalb und wieso ich Panikattacken habe, beantworte ich vielleicht mal an anderer Stelle.

Heute möchte ich darüber schreiben, was eine Panikattacke eigentlich genau ist. Wie oft sagen wir salopp im Gespräch „Ich habe fast eine Panikattacke bekommen“, ohne zu wissen, was es damit auf sich hat. Ich weiß es und wenn man der Statistik glauben darf, dann wissen es auch über 10 Millionen anderer Menschen in Deutschland.

Eine Panikattacke überfällt uns oft aus dem Nichts. Zumindest die ersten Male. Die Symptome während einer Panik reichen von Herzrasen, Zittern, Schweißausbrüchen, Erbrechen, Durchfall, Schwindel, Ohnmachtsanfällen, Atemnot bis hin zu Derealisierung (Todesangst, Angst verrückt zu werden) sowie Depersonalisierung (das Gefühl von sich abgelöst zu sein, neben sich zu stehen). Hört sich schon beschissen an, oder?


Vor einiger Zeit habe ich nach einer Panik etwas aufgeschrieben:


„Kennste das, wenn du weißt, jetzt kommt die scheiss Panikattacke so oder so. Wenn du es schon fühlst, dein Herz rast, dir ist heiß und kalt, Brechreiz, Zittern und dann geht es los…voll rein in die Attacke. Völlig gefangen in der Angst bis zum absoluten Höhepunkt und dann fährt alles langsam wieder runter. Beim Höhepunkt glaubste entweder du stirbst jetzt oder du wirst komplett irre. Beides passiert nie, aber fühlt sich immer wieder so an. Dann flacht es ab. Je nach Stärke der Panik bist du danach völlig ausgelaugt, der Tag ist gelaufen. Ich hasse das. Viele glauben, dass Angst immer laut ist… dass ein Mensch mit Angst z.B. immer bitterlich anfängt zu weinen und schreit: „Hilfe, ich habe Angst“. Meist ist Angst jedoch ganz leise. Niemand hört sie, sie brüllt nur in dir laut rum. Die wenigsten Menschen mit Panikattacken schreien lauthals an der Wursttheke los „Aus dem Weg, ich habe ne Panikattacke und muss raus hier“. Der angepasste Mensch bleibt stattdessen stumm in der Schlange stehen, schwitzt sich nen Wolf und kauft mit zitternde Stimme seine olle Mortadella ein. So siehts aus. Dann völlig fertig raus aus dem Supermarkt und aufs abflachen warten.“


So in etwa fühlt sich eine Panikattacke an. Der Körper fährt alles hoch, alles ist zum Zerreißen gespannt und in dir stehen die Zeichen auf Flucht. Bloß weg, raus aus der Situation, weglaufen - es soll sofort aufhören. Weglaufen und fliehen ändert jedoch nichts, jeglicher Kampf gegen diese Form von Angst ist sinnlos.

Die meisten Angstpatienten beschreiben das Gefühl während einer Panikattacke mit einer Todesangst. Das kann ich bestätigen. Meine Mutter sagte mir, dass ich damals als Kind zu ihr gelaufen kam und rief „Ich muss sterben“. Daran kann ich mich zwar nicht mehr erinnern aber ich weiß noch, wie völlig unerwartet mich diese Panik getroffen und mental aus dem Leben gehauen hat.

Was nach Panikattacken folgt ist eigentlich fast noch fieser als die Attacke selbst und das ist die Angst vor der Angst. Die Angst, dass man das noch einmal erleben muss ist extrem hoch. Daher umschifft man all das, was die Panik triggern könnte. Oft sind es geschlossene Räume (z.B. Aufzüge, Flugzeuge…), all das, wo man eben nicht mal eben so rauslaufen kann oder andere Situationen in denen man eine Attacke hatte. Angst kann lähmen, man gerät in eine Schockstarre und versucht nichts mehr zu tun, was die Angst auslöst.

Selbst heute noch, nach all den Jahren und dem Wissen, dass ich meiner Angst mittlerweile ganz anders begegne, sie mich nicht mehr aus dem Leben haut, löst der Gedanke an eine Attacke in mir ein beklemmendes Gefühl aus.


Angst ist auch immer noch schambehaftet. Warum ist das so? Eigentlich ganz einfach. Die Tatsache, dass einem der Friseurbesuch Angst macht, ist peinlich. Der „normale“ Mensch sitzt bei einer Tasse Kaffee im Friseurstuhl und lässt sich jauchzend die Kopfhaut massieren, während der „panische“ Mensch dort sitzt und denkt „Fuck, wenn die jetzt die Schere ansetzt, die Frisur noch nicht fertig geschnitten ist, ich aber ne scheiß Panikattacke kriege, kann ich hier nicht einfach rauslaufen…sonst muss ich den Rest meines Lebens mit einer völlig beknackten Frisur durchs Leben marschieren“. Oder beim Zahnarzt: Loch ist gebohrt, Mund sperrangelweit offen, Panikattacke kommt… kannste nicht aufstehen und sagen „Och, ich hab es mir anders überlegt, ich gehe. Das Loch kleistere ich zu Hause selber zu. Danke, Tschüss“.

Früher war ich felsenfest davon überzeugt, die einzige Person auf der Welt zu sein, die Angst hat. Natürlich wollte ich nicht, dass jemand davon Wind bekommt. Ich hatte gute Strategien und niemand wusste, dass ich nicht gern zum Friseur gehe, weil ich Angst vor einer Panik habe und nicht weil ich es so sehr liebe meine Haare lang zu tragen. Man spricht nicht darüber, weil man glaubt, niemand versteht es und man wird ausgelacht. Dann habe ich irgendwann doch angefangen offen mit meinen Ängsten umzugehen und siehe da, plötzlich kommen alle anderen auch aus ihren Schneckenhäusern gekrochen, fangen an zu erzählen mit welchen Ängsten sie sich tagtäglich rumplagen, dass sie Panikattacken haben… niemand lacht darüber, weil jeder Mensch Angst hat. Angst ist eine Volkskrankheit. Der eine hat mehr Ängste, der andere weniger. Natürlich hat nicht jeder Mensch Panikattacken oder eine sogenannte Angststörung aber Angst haben wir alle. Wie auch immer diese Angst aussehen mag.

So, die Menschen mit Ängsten und Panik lesen das jetzt hier und denken eventuell: Super und nu? Gibts da auch nen Weg raus? Euch möchte ich sagen: Leider Nein. Kleiner Witz ;) Genau das hat mir tatsächlich mal ein Therapeut gesagt. Ich dachte, mich laust der Affe, wenn er das der „falschen“ Person erzählt, erhängt die sich doch direkt.

Damals fasste ich einen Entschluss: Ich werde anderen Menschen mit Ängsten und Panikattacken helfen - ihnen einen sicheren Weg da raus zeigen. Geplant war, dass ich das tun werde, wenn ich selber keine Ängste und Panikattacken mehr haben werde… Ich dachte nur dann, kann ich Menschen Mut machen sich ihrer Angst zu stellen, ich muss selbst erst frei davon sein. Mir ist ein Licht aufgegangen: Da hat die Angst aus mir gesprochen, denn obwohl ich manchmal noch eine kleine Panik bekomme oder eher die Treppe nehme, statt des Aufzuges, habe ich auch jetzt schon die Möglichkeit mein Wissen zu teilen.


Es gibt drei Dinge, die ich versprechen kann:


  1. Es gibt immer einen Weg raus aus der Angst

  2. Angst kann auch lustig sein

  3. Angst verändert sich, wenn du dich veränderst


To be continued…




 
 
 

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1 Comment


Tanja Wii
Tanja Wii
Jul 15, 2021

„Es ist nicht so, dass Du frei von Angst sein musst. In dem Moment, wo Du versuchst, Dich von der Angst zu befreien, erzeugst Du einen Widerstand gegen die Angst. Notwendiger, als vor ihr wegzurennen, sie zu kontrollieren oder sie zu unterdrücken, ist es, die Angst zu verstehen. Das bedeutet, sie Dir anzusehen, etwas über sie unmittelbar zu lernen, mit ihr in direkten Kontakt zu kommen.“


Jiddu Krishnamurti


Passt dazu 🙂


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