
„Zwischen dem, was gesagt, aber nicht gemeint ist und dem, was gemeint, aber nicht gesagt ist, geht die meiste Liebe verloren“ (Khalil Gibran).
Über dieses Zitat bin ich vor ein paar Tagen gestolpert und das hat mich zum Nachdenken angeregt. Ich habe mich gefragt, geht wirklich die Liebe dadurch verloren, dass wir etwas sagen, aber nicht meinen oder etwas meinen, aber nicht sagen?!
Wenn wir streiten, passiert meist genau das, was in dem Zitat steht. Wir sagen etwas, meinen es aber eigentlich ganz anders oder wir finden nicht die Worte das zu sagen, was wir meinen. Streit entsteht immer aus dem Ego heraus und natürlich auch aus unserem inneren, verletzten Kind. Wenn wir es mal so betrachten: Die Welt ist ein einziger Kindergarten und alle kloppen aufeinander ein, weil der eine dem anderen die Schaufel im Sandkasten weggenommen hat. Der Unterschied dabei ist, dass wir erwachsen sind und besser mit Worten umgehen können und oft auch ganz genau wissen, wie wir anderen mit Worten weh tun können. Besonders bei den Menschen, die uns nah stehen. Da kennen wir alle Triggerpunkte, wir wissen wo es unseren Herzmenschen weh tut und wo sie unsicher sind. Ganz schön abgefuckt von uns, oder? Wir wissen das und hauen trotzdem (oder gerade deshalb) genau in die wunden Punkte rein - wenn wir streiten! Warum? Weil unser Gegenüber genauso weiß, wie es uns dort treffen kann, wo es weh tut und das während eines Streites auch für sich nutzt.
Letztlich stehen zwei verletzte Herzen sich gegenüber und hauen aufeinander ein.
Habt ihr schonmal überlegt warum oder auch wann ihr streitet?
Ich durfte feststellen, dass ich Streit provoziere, wenn ich wütend und unausgeglichen bin. Ich habe dann soviel Wut im Bauch, die raus will und suche mir eben jemanden an dem ich es abladen kann. Super, oder? Tja, das nenne ich mal erwachsen, reif und liebevoll ;) Naja, immerhin habe ich es gerafft … also, da kann ich mir trotzdem auf die Schulter klopfen und es zukünftig anders machen.
Ich durfte aber auch feststellen, dass ich mich streite, wenn ich mich verletzt fühle. Mir ist aufgefallen, dass ich ganz oft etwas höre, was der andere allerdings gar nicht gesagt hat (siehe das Zitat). Das liegt daran, dass ich etwas über mich denke und befürchte, dass mein Gegenüber genauso schlecht über mich denken könnte.
Also sagt Person XY z.B. zu mir: „Hey, dein Pulli ist ja interessant“ und ich höre „Hey, du siehst fett aus in dem hässlichen Ding“. Was passiert also: Die Bombe geht hoch.
Ich: „Sag doch gleich, dass du mich fett findest!“
XY: „Das habe ich gar nicht gesagt. Ich sagte, dass dein Pulli interessant ist.“
Ich: „Also findest du ihn hässlich, weil ich keinen Geschmack habe, oder was?!“
XY: „Nein, das meinte ich gar nicht. Ich wollte sagen, dass…“
Ich: „Ja, jetzt geht es wieder nur um dich…“
Natürlich habe ich das jetzt sehr klischeehaft und auch ein bisschen überspitzt dargestellt, aber: Kommt, es geht euch doch auch oft so… Das kennen wir alle. Ich habe mich schon so oft dabei ertappt. Mittlerweile höre ich in solchen Situationen eine Stimme in mir - eine sehr kluge und weise Stimme und die sagt:
Weise Stimme: „Imke, bist du jeck? Lass es doch einfach bleiben. Du weißt doch wie der Hase läuft. XY hat davon gar nichts gesagt, es ist dein innerer Kritiker, der dir diese Dinge um die Ohren haut. Wenn du jetzt einen Streit anfängst, bereust du es später und darfst dich entschuldigen. Denk dran: Du verletzt jetzt XY, weil du von deinem inneren Kritiker verletzt bist“. Und dann sage ich zur weisen Stimme: „Ja, weiß ich. Egal, halt die Klappe, ich will mich da jetzt reinsteigern.“.
Dann streite ich mich mit der weisen Stimme, Person XY, meinem inneren Kritiker und bin am Ende völlig unglücklich und warum? Weil ich mich verletzt gefühlt habe. Ich hätte ja auch einfach sagen können: „Ich fühle mich verletzt. Ich habe dies und jenes verstanden. Hast du das auch so gemeint?“. Glaubt es mir, wenn ihr so reagiert, entsteht meist gar nicht erst ein Streit. Wir streiten uns nicht wegen der anderen Person, wir streiten uns wegen uns selber. Tut mir auch leid, ich muss es einfach wieder sagen: Alles was wir tun, hat immer was mit uns selbst zu tun. Wir sind eben alle kleine Egomanen und in unserem Streitverhalten wird das meist sehr deutlich.
Ich habe heute eine Streit-Situation beobachtet. Ein Mann und eine Frau haben sich gestritten. Für mich war es so offensichtlich, dass beide gerade komplett mit sich selbst beschäftigt sind und gar nicht hören was der andere da eigentlich sagt. Ich musste fast lachen, weil die Situation so skurril war. Am liebsten wäre ich hingegangen und hätte gesagt „Was macht ihr da? Merkt ihr nicht, dass ihr komplett aneinander vorbei redet und es gar nicht darum geht wie der andere sich gerade verhält?!“. Ich habe es gelassen. Die Frau war echt sauer, die hätte mir vermutlich die Augen ausgekratzt. Dennoch hat diese Situation wieder mal gezeigt, dass wir uns eigentlich nur streiten, weil wir in unserem Ego hängen, Glaubenssätze über uns selber an die Oberfläche kommen, unsere Ängste vor Ablehnung und Verlust, etc. pp.
Ich weiß nicht wie es euch damit geht, aber ich kann Streit nicht leiden. Ich mag Disharmonie nicht und besonders mag ich es nicht, mit einer Person die ich liebe, im Streit zu sein. Ich kann schlechte Stimmung nicht gut ab und auch alles andere was damit zu tun hat. Ich kann mich zwar leidenschaftlich mit Menschen zoffen, aber genauso schnell tut mir das danach dann auch wieder leid.
Manchmal tut es uns aber auch gut nach einem Streit erstmal Gras über die Sache wachsen zu lassen, uns die Zeit zu nehmen mal in uns zu gehen und zu schauen: Was habe ich denn eigentlich gemeint, als ich dies und jenes gesagt habe? Was war da los? Warum habe ich mich mit der Person gestritten, worum ging es dabei wirklich?
In dem Zitat heißt es, dass darüber was gesagt, aber nicht gemeint ist und was gemeint, aber nicht gesagt ist, die meiste Liebe verloren geht. Das stimmt tatsächlich in manchen Fällen. Ich glaube jedoch, dass die Liebe dann wohl einfach nicht gereicht hat. Wenn ein Streit es schafft, dass zwei sich liebende Menschen nie mehr miteinander reden, dann zweifele ich daran, dass es wirklich Liebe war.
Die Liebe geht nicht verloren, wenn ich wirklich vom Herzen liebe. Daran lässt sich nicht rütteln. Streit hin oder her.
Wenn ich also nach einem Streit reflektiere was dazu geführt hat, stelle ich meist fest: Ok, war doof, war berechtigt, war menschlich, war egoistisch - was auch immer, aber: Die Liebe ist geblieben.
Dennoch verletzt uns jeder Streit den wir führen. Uns und unser Gegenüber. Wir fügen uns und der anderen Person Wunden zu, darüber geht vielleicht nicht immer die Liebe verloren, dennoch tut es weh und hinterlässt Narben.
Wir sind Menschen und wir streiten. Wir dürfen uns streiten, Reibung ist auch was Gutes - manchmal braucht es das einfach um wachsen zu können und um eine Beziehung auf eine nächste Stufe zu bringen.
Es geht beim Streiten vielmehr darum wie wir streiten und was wir sagen. Ich weiß selber, dass es schwierig sein kann, aber wir können darauf achten was wir sagen (auch im Streit). Wir können bei uns bleiben und Ich-Botschaften vermitteln. Im Streit sagen wir gerne „Du hast… Du bist… Du sollst…“, wenn wir mit „Ich wünsche mir… Ich glaube… Ich fühle…“ einen Streit führen, greifen wir unser Gegenüber nicht direkt an, wir bleiben bei uns und vermitteln was in uns vor geht. Es ist möglich auf seine Worte zu achten, auch im Streit. Worte haben Macht und das sollten wir nicht vergessen. Das kann man lernen. Ich habe es gelernt. Fragt mal die ganzen dämlichen Idioten mit denen ich mich gestritten habe und mit denen ich jetzt nichts mehr zu tun habe - die bestätigen euch das! (Das war natürlich ein Witz).
Es gibt aber auch eine Sache, die ich am streiten richtig schön finde und das ist die Versöhnung. So beschissen ich das Streiten finde, so schön finde ich die Versöhnung. Ich sage es ja immer wieder: Es gibt in allem auch etwas Schönes zu entdecken, wir müssen manchmal eben einfach nur genau hinschauen. Also, streitet euch leidenschaftlich mit Ich-Botschaften und versöhnt euch danach noch leidenschaftlicher, mit viel Liebe und noch mehr Ich-Botschaften, z.B.: Ich liebe dich!
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